Kinmen - der erste Abend
Wieder geht ein überraschender Tag zu Ende, wir sitzen auf einer großen Terrasse mit Blick auf einen kleinen Platz im Zentrum von Kinmen township, also der Stadt Kinmen, die Nacht ist lau und wir schreiben mit den Computern um die Wette, während die letzten chinesischen Reisegruppen durch die Stadt gelotst werden. Hier scheint alles, wenn überhaupt möglich – noch früher zu Ende zu sein. Bei der Recherche schlossen die meisten Restaurants um 20:00 Uhr. Der Imbiss um die Ecke, den uns unser Gastgeber mit großen Gesten (wie viele andere) empfohlen hat, war voll, gegen 19:00 Uhr ca. waren wir da, wieder ein (chinesischer!) Zettel zum Ankreuzen, Google Übersetzung gab uns eine wage Ahnung der zu erwartenden Speisen, ankreuzen und an den echt bemitleidenswerten Jungen, der die ganze Abfertigung der Bestellungen mit etlichen to-Go-Kunden abarbeitete. Wir bekamen unser Essen tatsächlich zum Schluss und schon Minuten vorher, da war es kurz vor halb, wurden die ersten Kunden abgewiesen. Als wir ca. um 20.00 Uhr herum auf die Straße traten, war die Stille schon fast greifbar, die letzten schleichen schnell nach Hause, jetzt um 20:00 wird auch der Verkehr immer weniger.
Irgendwie tuen wir uns immer noch schwer mit diesem Rhythmus, bei dem es völlig normal ist, um 11:30 schon Mittag zu essen und auch – selbst in der Großstadt – um 13:00 Uhr eher nur die Reste zu finden sind – jedenfalls in den Imbissen. Am Abend ist das Zeitfenster fast noch strickter, zw. 17:30 und 18:30 ist die ideale Essenszeit in den einfachen Restaurants/Imbissen.
Aber das Essen war lecker, und der Junge war sichtlich erleichtert, dass er sich mit seinem Englisch verständlich machen konnte, das in der Summe des Geldes bestand, die er noch von uns abkassieren musste.
Aber wir sind ja erst am Nachmittag hierher geflogen, völlig unaufgeregt von dem recht überschaubaren Flughafen Kaohsiung nach Kinmen, 1 Std. mit einer frz. Turboprop – lange her, dass ich das letzte Mal in einer Propellermaschine saß…
„notail&bananas“ animal school – Schule für Haustiere oder ihre Besitzer?!
Da wir vorher noch etwas Zeit hatten sind wir wieder etwas im „Revier“ Pier 2 unterwegs gewesen, wie kann es anders sein, auf der Suche nach einem Cafe landen wir im „notail&bananas“ animal school – Schule für Haustiere oder ihre Besitzer?! Beim sehr guten Kaffee sitzend wollte ich es doch mal wieder genauer wissen und forderte die Englisch-Kenntnisse der Mitarbeiterin heraus. Es handelt sich um ein privates Tierheim mit im Augenblick 13 Katzen und 5 Hunden, sie vermitteln die Tiere, aber die zukünftigen Eigner müssen / sollen erst lernen, mit den zukünftigen Tieren auch richtig umzugehen, auch zu verstehen was sie brauchen etc.. Damit soll natürlich verhindert werden, dass die Tiere nach kurzer Zeit auf der Straße landen, oder wie ein Kindersatz im Kinderwagen herumkutschiert werden (leider nicht nur in Taiwan immer verbreiteter). Ein tolles Konzept, dass mir die mittlerweile 2. Mitarbeiterin, die von der oberen Etage extra runterkam erklärte. Wir tauschen uns aus, z:B. über die deutschen Tierheime, wie wichtig es ist für die Vermittlung auch eine Geschichte des Tieres parat zu haben etc.. Wir erfuhren auch, dass alles auf eine Privatinitiative einer Kinderbuch-Illustratorin geht, die auch noch 2 weitere Tierasyle betreibt. Die herrlich naiven einfach gezeichneten Tiere sind sehr eingängig, man erkennt sofort ihren Stil. Und zu guter Letzt, wir bezahlen gerade noch unseren Kaffee, kaufen auch noch ein paar Bohnen, ich lasse das Restwechselgeld als Spende, kommt doch tatsächlich die Illustratorin selbst noch in den Laden, die sogar in Deutschland 2023 einen renommierten Design-Preis gewonnen hat. Und auch mit ihr unterhalten wir uns prächtig, sie erzählt über ihre Tierleidenschaft, wir tauschen Visitenkarten aus und sie holt – eins ums andere – Postkarten und dann auch noch ein ganzer großer Umschlag mit herrlichen Plakaten und Bastelbögen heraus, alle in einer sehr hübsch verspielten Art und beschenkt uns – ich war echt gerührt! – was für ein Engagement, was für eine Leidenschaft – später habe ich gelesen, das ihr Vater Kunstlehrer und ihre Mutter Veterinärin war, auch ihr Mann ist Veterinär, da hat sich eins zum Anderen gefügt….
Auch unsere Gastgeber hier sind voller Energie und Herzlichkeit, viele Booking.com-Nachrichten, große Sorge, sie würden uns nicht finden (an dem echt überschaubaren Flughafen), dabei waren wir die einzigen als West-Europäer lesbaren Menschen weit und breit – also kein Problem! Auch die Verständigung mit Händen und Füßen klappt – „no problem“.
Das Geschäft geht vor...
Heute haben wir alles abgegrast, was wir unbedingt noch machen wollten, dazu gehören die Schutztunnel auf Klein Kinmen, die historischen chinesischen Landhäuser von …. Und die Werkstatt von Maestro Wu mit seiner Messerschmiede.
Die Hinfahrt Richtung „Klein“-Kinmen über die neue schöne Verbindungsbrücke mit dem Bus war kein Problem. Morgens früh los – (nicht ohne die herrlichen Youtiau, die aus einem tiefgelegten Fenster am Morgen frisch aus dem Fett gezogen verkauft werden) der Bus fährt ca. alle Std. und braucht auch etwa eine Std. bis wir am Siwei Tunnel angekommen sind. Dieser wurde in den 60er Jahren als Bombenschutz für bis zu 50 Boote aus dem Gneis gehauen – ein großer beeindruckender höhlenartiger Komplex , der von einer riesigen menschliche Leistung zeugt. Dazu muss man wissen, dass China zwischen 1958 und 1978 20 Jahre lang ein Dauerbombardement von Granaten auf die Inseln niederprasseln ließ.
Heute scheint die Besorgnis nicht mehr so akut zu sein (als Berliner denkt man sofort an alte Westberliner Zeiten…) Wir sind an vielen kleinen „Nachbarschafts“-Bunkern vorbeigekommen, die offensichtlich nicht mehr gewartet werden… Vielmehr hat man sich in einem großem Pragmatismus (da sind sich die beiden chinesischen „Lager“ mental sehr nah) das touristische Geschäft mit Festland-China zu eigen gemacht. Alles ist auf die chinesischen Wünsche ausgelegt, in den hübsch hergerichteten touristischen Straßen gibt es ein Geschäft neben dem anderen, die – wieder mal – Getrocknetes verkaufen, – Fisch, Kräuter, Wurzeln, Trockenfleisch…. – Das Vertrauen in die einheimische Industrie scheint nicht sehr ausgeprägt..
Gedanken zur Architektur
Für mich als Architektin der Altbausanierung war der Anblick der vielen historischen chin. „Land“-häuser (ich habe noch keinen korrekten Begriff dafür) ein Trauerspiel. So viel Zerstörung, so viel Verfall, ganze Kulturbereiche gehen da zugrunde. Man muss dazu sagen, dass viele Taiwanesen ihr Glück im Ausland gesucht haben und daher viel Geerbtes einfach dem Schicksal überlassen wurde, aber einiges ist eben auch einfach durch Dauerbombardement getroffen worden – der Wiederaufbau ist zu teuer, keiner interessiert sich dafür, die Geschichte wiederholt sich überall auf der Welt. Akut haben wir das im Örtchen Shiutou erlebt, wo es auch noch ein hochsaniertes „westliches“ Haus, das Deyue Mansion gibt, erbaut 1930 von einem Händler, alles schick, westlich mit viel asiatischem Einfluss – ein typisches Peranakan-Haus von Chinesen mit malayischen und Indonesischen Wurzeln. Dieses Haus wie mehrere weitere (einige als B&B) schick restauriert, der Rest im Ort, wenn nicht bewohnt, dem Verfall überlassen.
Ein paar Eigentümlichkeiten auf dem Weg wollte ich nicht vorenthalten…
Wir konnten nicht widerstehen, in einige Häuser (die offen standen) reinzugehen und haben mind. In einem Haus unglaubliche Handwerkskunst gefunden, die einfach den Elementen ausgesetzt sind.
Unser eigentliches Abenteuer hatten wir in Sachen Transport – GPS und Wirklichkeit – sage ich nur! Die schöne neue Welt beglückt uns mit alternativen Routen, genauen Fahrplänen mit Verspätungsangaben und den zugehörigen Laufstrecken zur Haltestelle. So kommen wir beim Laufen an einer Busstation vorbei, aber unser GPS schickt uns munter weiter mind. 1/2 Std. in ein totes Bürohausgebiet, wo die Haltestelle sein soll, wir finden sie auch, aber auf der falschen Straßenseite. Die Erkenntnis kam zu spät „abgefahren“ sagt das GPS, freundliche Menschen, die wir fragten, fuhren uns wieder den ganzen Weg zurück – zur Busstation, die erstmal wieder genauso tot wie beim 1. Mal war. (GPS – wir hatten den Glauben noch nicht ganz verloren –sagte, in 11/2 Std. kommt der Nächste) Die Reinigungskraft hat uns gesehen – und mein Verdacht – hat dem Vorsteher Bescheid gesagt, der kam irgendwann aus einer Ecke und wedelte uns aufgeregt Richtung Straße, wo tatsächlich gerade „unser“ Bus ankam – jenseits aller GPS-Angaben.
Und dann noch das letzte Highlight unseres Tages, Maestro Wu – der Messermeister in 3. Generation. Schon in den bekannten Reiseführern hochgepriesen, denn er schmiedet Messer aus dem hoffensichtlich hervorragenden Stahl der chin. Granaten, die 20 Jahre über die Insel prasselten. Aber – Maestro Wu ist mitnichten mehr der Einzelkämpfer-Schmied mit drei Helfern, sondern ein (sehr kleverer) Geschäftsmann mit etlichen Verkaufsfilialen (an mind. 5-6 sind wir vorbeigekommen) und einer Show-Werkstatt vom Feinsten, an die regelmäßig Gruppen geführt werden. (Groß verglastes Schaufenster mit zwei Mitarbeitern, die live für die Show ein Messer schmieden) Ich vermute stark, dass die wahre Produktion woanders stattfindet, denn auch der Export ins Ausland scheint zu funktionieren. Nichtsdessotrotz – die Geschichte ist klasse, die Messer damit ziemlich einmalig und natürlich habe ich mir ein original taiwanesisches Fischmesser gekauft, da die bauchige Form mir unbekannt war und ich live an einem Marktstand erlebt habe, wie toll man damit Fisch filetieren kann… s. oben!
Und wieder 20 – 30 Minuten Fußweg zurück, auf dem Weg an der Hauptstraße kurz in ein Büfettrestaurant eingefallen und zurück zum B&B…