Rio – Karneval 1990
Was für ein Hype, was für ein Erlebnis…
Durch Bekannte bekam ich kurzfristig ein “Ticket” zum Mittanzen bei einer der 12 wichtigsten Escolas de Samba von Rio, der Imperatriz Leopoldinense. Zu bezahlen war nur das Kostüm.
Die Anprobe war extrem lustig, wir alle im indigenen Outfit. Dann die ganze Clique mit der U-Bahn zum Sambodrom, schon in der U-Bahn waren andere Escola-Mitglieder, wir haben gegeneinander angesungen (“Unser” Lied mussten wir ja auch noch lernen…) Der Versammlungsplatz für alle – ein eigenes Volksfest mit Ess- und Getränkebuden und viel Musik. (Jede Escola hat zw. 2-3.000 Tänzer, und man wartet die halbe Nacht, bis man drankommt, da gilt es sich warmzutanzen und vorzuglühen)
Und schließlich -plötzlich geht es los, Antreiber bugsieren Einen in die richtige Reihe und Position, auch entlang der Strecke stehen sie mit Stöcken zur Korrektur – Die Formation muss schließlich stimmen! Der Wahnsinn!!! Zehntausende auf den Sitzen außer Rand und Band, man hat das Gefühl, durch die Menge getragen zu werden, der Körper bewegt sich von ganz allein, man singt sich die Seele aus dem Leib – über eine Stunde dauert die Performance (schließlich wird alles streng bewertet) und plötzlich ist man durch, man glaubt es kaum, – in diesem Moment wäre ich glatt nochmal hindurchgetanzt – wie auf Droge, aber ich hatte ja nicht mal ein Bier getrunken.
Der Rest der Clique hat natürlich noch weitergefeiert, aber ich musste Richtung Hotel weil mein Flug in der Früh ging, also allein durch die (finsteren) Straßen, mit einigen Eckkneipen (Normalerweise No-Go-Area für Touris), überall liefen die Fernseher mit der Live-Übertragung aus dem Sambodrom, die Leute sahen mich, Frage “Imperatriz?!” – “Sim” – Ja – und die Daumen gingen hoch mit großem zustimmenden Gejohle. Selbst der Taxifahrer, den ich endlich fand – zu Karnevalzeiten echt schwierig – hat mich auf kürzestem Wege zum Hotel gebracht und nur den korrekten Minimumpreis von mir verlangt – eine völlige Ausnahme, es wird zu Karnevalzeiten gerne auch das 10-fache abgeknöpft. – Nie habe ich mich mehr “zugehörig” gefühlt als in diesen Momenten…
Nur der Muskelkater in den nächsten Tagen – der war gewaltig…. Und meine Stimme…..
Brasilien – Der Weg ist das Ziel
Der Weg ist das Ziel - oder?!
Letzter Tag in Recife, Wellington will uns den ultimativen Strand zeigen, tourifrei und idyllisch – versprochen! Haken an der Sache: der Bus dorthin und die Haltestelle dazu muss gefunden werden.
Und – wir befinden uns im Jahre 1993 – kein Internet, kein GPS – nada!
Ab ins Zentrum – Busbahnhof, aber Karin muss vorher eingesammelt werden, hat zuviel gefeiert und ist ohne Kaffee nicht ansprechbar. – 1 Stunde… Wellington muss natürlich erstmal bei Freunden fragen, wie man hinkommt, läuft hin, kommt zurück, weitere ½ Std, ab zum Busbahnhof, laufend, weiter ½ Std, durchfragen zum Bus, weitere ½ Std., Ach so, die Freunde von Wellington wollen auch noch mit, Freunde noch nicht da, Bus verpasst, weitere Std., es ist inzwischen Mittag. Wir bekommen mit, der Bus fährt nicht direkt, sondern wir müssen umsteigen. Ok, der Bus kommt, nur ca. ¼ Std. Verspätung, geht ja – ca. 1 1/2 Std. Fahrt, raus an der Umsteige-Haltestelle – mitten im Nirgendwo, die einzige Anlaufstelle eine Tankstelle – sonst kein Schatten, kein Haus, nur Pampa mit Gestrüpp. Karin braucht noch einen Kaffee, der dauert, der Bus fährt vor unserer Nase weg, weiter warten in brütender Mittagshitze. Die Brasilianer tiefenentspannt, ich kurz vor Weißglut… Endlich kommt der nächste Bus, Ankunft am Strand mit schon tief hängender Sonne, voller Menschen und Strandbuden, Idylle wird in Brasilien anders definiert – und die Belohnung all der Mühe – ein traumhafter Sonnenuntergang und ein gut gekühltes Bier…..
Brasilien in der Hochinflation – 1990
Brasilien in der Hochinflation
Stell Dir vor, Du bekommst Dein Gehalt und nächsten Monat ist das Geld nur noch die Hälfte (oder weniger) wert … gruselig oder?!
So erlebt 1990 bei meinem 1. Aufenthalt in Sao Paulo und Praktikum in einem bras. Architekturbüro. 1. Lektion: die Angestellten leerten ihre Geldbörsen und schichteten die vers. Scheine und Währungen nebeneinander.
Zu diesem Zeitpkt. existierten folgende Währungen:
- Cruzeiros – seit 1985
- Cruzeiros – seit 1986 gestempelt zu Cruzados, 3 Nullen gestrichen
- Cruzados – seit ca. Ende 1986
- Cruzados – seit 1989 überstempelt zu Cruzados Novos, 3 Nullen gestrichen
- Cruzados Novos – ca. seit 2. Hälfte 1989
- Cruzados Novos, gestempelt zu Cruzeiro – seit ca. Beginn 1990
Dazu gesellten sich bei weiteren Aufenthalten noch:
- wieder Cruzeiros (kleineres Format) seit ca. 2. Hälfte 1990
- der Cruzeiro Real – seit 1993
Und schließlich:
der Real – seit 1994
Alles klar????
Die Jahresinflation wurde 1990 auf über 3100% beziffert und blieb bis zum Plano Real des Präsidenten Fernando Henrique Cardoso auf überhohem Niveau.
Also, 2. Lektion: Auswendig lernen, alle Währungsformen, alle Varianten und ihren Realwert, der 100.000er, der nur 100 wert ist, der 100er, der wirklich 100 wert ist….
Den Gehaltsscheck gab es wöchentlich. 3. Lektion: Scheck sofort einlösen und Geld ausgeben!!!! Alles was Du in der folgenden Woche gebrauchen könntest, oder in der übernächsten, oder überhaupt – kaufen!!!! – Ohne Verzögerung, jetzt!!!
Sao Paulo – 1990 – das 1. Mal
Mein Verhältnis zu Sao Paulo ist eher privater Natur, da mein Vater einige Jahre dort lebte und arbeitete. Ich hatte also immer einen Anlaufpkt. in Sao Paulo und Einblicke in diesen Stadt-Moloch, der über das Touristische hinaus geht.
Mein erster Aufenthalt Anfang 1990 war einem Praktikum in einem renommierten Architekturbüro bei der bekannten Rua Augusta mitten im schicken Zentrum von Sao Paulo geschuldet. Schnell entschied ich mich, der sonst wunderbaren Gastfreundschaft einer Manager-Familie mit großem Haus in Interlagos (bei der berühmten Formel-1-Strecke) zu entfliehen und und habe mein spärliches Praktikumsgeld in ein Apartment in einem zentralen Hotel,- fußläufig zum Arbeitsplatz investiert. – Eine gute Entscheidung, denn im Handumdrehen kannte ich die angesagtesten Plätze und Boutiquen der Innenstadt. Und – ich konnte mich frei bewegen. Klingt erstmal erklärungsbedürftig: Bei der deutsch-brasilianischen Familie war ich in besten Händen untergebracht, aber mind. eine Std. Fahrzeit vom Zentrum entfernt. Öffentliche Verkehrsmittel sind für die gehobene Mittelschicht ein no-go, – viel zu gefährlich, man bewegt sich nur von einem Schutzraum in den Nächsten. In der Praxis: Man steigt innerhalb des häuslichen Garagenhofs ins Auto (mit Chauffeur!), die Fenster werden verriegelt, das Automatiktor geht auf und dann werden die einzelnen Familienmitglieder an ihre Bestimmungsstätten gefahren, keines der beiden Mädchen des Hauses im Teeniealter ist je zu Fuß im eigenen Viertel unterwegs gewesen, geschweige denn im Zentrum. Es geht nur zur Schule, zum Sport, zum Musikunterricht und zur Freizeit in den Shoppingcenter, wo neben vielen Läden und Restaurants auch Kinos und Spielplätze zu finden sind. Was für ein eingeschränktes Leben! Ich hatte durch das Büro und durch meinen Vater ein paar Bekannte, die mir die Stadt gezeigt und näher gebracht haben, was ich um nichts in der Welt verpasst haben wollte.